Ein langer Tag bei der Feuerwehr

Unterstützung bei Gefahrstoffeinsatz in der Weststadt

»Was ist eigentlich an den Bereitschaftsdiensten der Schnelleinsatzgruppe ( SEG ) im Löschzug der Berufsfeuerwehr so interessant?« werden die SEG-Helfer immer wieder einmal gefragt. Die Antwort fällt ihnen nicht schwer: Es ist einfach reizvoll, die Arbeit der Feuerwehr aus nächster Nähe mitzuerleben, den Aufgabenbereich einer anderen Organisation kennenzulernen, sich selbst bei Einsätzen einbringen zu können, neue persönliche Kontakte zu schließen und Anregungen für eine Verbesserung der eigenen Austattung aufzunehmen. Nicht zuletzt kommt man mit der Feuerwehr aber auch in Gegenden unserer Stadt, die man als gewöhnlicher Bürger zumindest nachts nicht betreten würde, erlebt menschliche Tragödien ( vgl. »Tod im 11. Stock des Ring-Centers« ) und immer häufiger auch Umweltdelikte.

Am 29. Februar 1992 begaben sich die Helfer Jens Pfeiffer, Jens Kestner, Helmut Weber und Lars Heroldt unter Leitung von Zugführer Jan Kämpen zum vierten Bereitschaftsdienst der SEG auf die Wache der Berufsfeuerwehr. SEG-Leiter Jens Schulze war an diesem Tag verhindert, da er gerade seinen Lehrgang zum Atemschutzgeräteträger absolvierte. Aufgrund dieses Lehrgangs und des Grundlehrgangs am Nachmittag wurde der SEG als Aufenthaltsraum diesmal die Teeküche im Direktionsgebäude zugewiesen. Doch angesichts des schönen Wetters hielten sich die Helfer die längste Zeit im Freien auf und schlossen die fällige Inventur ihres Einsatzfahrzeugs ab. 

Der einzige Alarm für den Löschzug kam kurz vor dem Mittagessen. Beim Ausrücken mußten sich die THW-Helfer an ein neues Bild gewöhnen: Seit kurzem hat das TLF den Platz des LF eingenommen, hinter dem ELW fährt jetzt das neue LF 24. Über Altstadtring und Münchenstraße ging es in die Weststadt, wo der Löschzug empfangen wurde, als wäre das angebrannte Essen nur Mittel zum Zweck gewesen, ein bißchen Leben in die Eiderstraße zu bringen: Bürger mit Videokameras auf ihren Balkonen; nur wenige Fenster, hinter denen kein Gesicht erschien; Kinder, die den Einsatzkräften mit den Worten »Bei uns hat's gestern auch gebrannt!« entgegenliefen. Das Essen war schnell gelöscht ( als Alternative zum Löschzug soll ja gewöhnlich auch ein Topfdeckel gute Dienste leisten ), die Fahrzeuge konnten wieder einrücken.

Etwa gegen 16.00 Uhr wurden die SEG-Helfer, die sich schon auf einen geruhsamen Ausklang des Tages eingestellt hatten, gemeinsam mit der Besatzung des LF 2 und dem AB-Umwelt jedoch in einen Einsatz gerufen, der ihnen noch einige Arbeit bescheren sollte. Auf dem Gelände eines ehemaligen galvanotechnischen Betriebes in der Arndtstraße, der in den letzten Monaten mehrfach für Schlagzeilen gesorgt hatte, war ein Keller mit weit über 100 m³ Wasser vollgelaufen. Eine zwielichtige Gegend, »eine einzige Altlast«, wie ein SEG-Helfer spitz anmerkte. Schäferhunde, schmuddelige Garagen, in denen teure Autos umgespritzt wurden. Ein Feuerwehrmann: »Wenn das 'mal alles mit rechten Dingen zugeht!« Der zweifelhafte Reiz der Lage im Keller ergab sich aber erst durch zahlreiche, zum Teil angeschlagene 50-kg-Fässer mit Natriumcyanid, das bei Kontakt mit säurehaltigen Medien Blausäure freisetzt. Der bereits herbeigerufene Beamte des Umweltamtes bestand daher darauf, daß die Fässer unverzüglich geborgen wurden.

Mit elektrischen Tauchpumpen, der Ausstattung des LF und einer alten Lenzpumpe wurde begonnen, das Wasser abzupumpen. Doch wohin mit einer solchen Wassermenge? Selbst in einem etwa 80 m entfernten Regenwasserschacht staute sich das Wasser überraschend schnell zurück, so daß das Abpumpen mehrfach unterbrochen werden mußte. Inzwischen begann es zu dämmern, wenig später war es an der Einsatzstelle dunkel. Mit ihrem Aggregat speisten die Feuerwehrleute Strom in den Lichtmast am LF ein, das THW-Aggregat lieferte Strom zur Ausleuchtung des Abflußschachtes. Schon bald war es am LF allerdings wieder dunkel; Pumpen und Lampen, das war dann doch zuviel für das Aggregat der Feuerwehr. Die SEG-Helfer übernahmen die Ausleuchtung der gesamten Einsatzstelle.

Als der Keller endlich trockengelegt war, mußten die Pumpen abgebaut und rund 400 m Schlauch wieder aufgenommen werden. Zugleich wurde die Bergung der Fässer vorbereitet. Vollschutzanzüge wurden an den Einsatzort gebracht und die Besatzung des LF durch andere Kollegen abgelöst, die umgehend begannen, die Schutzanzüge anzulegen. Ein Trupp stieg anschließend in den Keller ein, der zweite nahm die Fässer entgegen und hob sie in größere 200-l-Fässer, deren Deckel die THW-Helfer zuvor mit ihrem netzunabhängigen Trennschleifer abgetrennt hatten.

Für die Bergung der Fässer wurde mehr Zeit benötigt, als eine Flaschenfüllung Atemluft hergab. Nun führt die Feuerwehr auf ihren LF allerdings nur 4 PA mit, und zwar ohne Ersatzflaschen. Neue Geräte hätten aus der Wache beordert werden müssen. Doch auch hier konnten die THW-Helfer einspringen und stellten kurzerhand die Preßatmer ihres GKW zur Verfügung; ein SEG-Helfer ging selbst unter PA. Kurze Zeit später konnten die Einsatzkräfte wieder einrücken.

Ein bitterer Nachgeschmack ( nicht nach Mandeln, gottseidank! ) blieb allerdings, da der Verdacht nicht entkräftet werden konnte, daß sich jemand die Entsorgung des Natriumcyanids durch vorsätzliches Fluten des Kellers hatte leicht machen wollen. Schließlich hatte das Wasser ja gerade ausgereicht, um den Keller zu füllen, und lief zudem nicht wieder nach.

Nach Beendigung des Einsatzes setzten sich die SEG-Helfer noch zu einer kurzen Abschußbesprechung mit Einsatzleiter Pietron zusammen, bevor sie geschafft von der Plackerei, aber in der Gewißheit, maßgeblich am Einsatz beteiligt gewesen zu sein gegen 22.00 Uhr den Heimweg antraten.

Einsatzbericht: Jan Kämpen ( Stand: 01.04.1992 )