Gasexplosion zerstört Wohnhaus im Bebelhof

SEG-Helfer verhindern den Einsturz des dreistöckigen Hauses

Am Freitag, den 04. März 1994, erschütterte eine gewaltige Detonation die Wohnsiedlung südlich des Hauptbahnhofs. Im Verlaufe des Nachmittags hatte ein 29jähriger an der Gasleitung seines Herdes Selbstmord begangen. Nach seinem Tod strömte das Gas weiterhin ungehindert in die Wohnung und bildete dort ein zündfähiges Gemisch, das gegen 18.15 Uhr durch einen Funken zur Explosion gebracht wurde. Alle Türen und Fenster des gesamten Hausflügels wurden durch die Wucht der Detonation aus ihrer Verankerung gerissen, das Dach des dreistöckigen Mietshauses angehoben. Weil die Giebelwand nachgab, konnte der Druck jedoch schnell entweichen. Wie durch ein Wunder hielten sich zum Zeitpunkt der Explosion im betroffenen Hausflügel keine weiteren Personen auf. Auch auf der Straße kam niemand zu Schaden.

Anwohner alarmierten die Berufsfeuerwehr, die unverzüglich mit Lösch- und Rüstzug sowie mehreren Rettungswagen ausrückte. Am Einsatzort angekommen, ordnete Einsatzleiter BOI Sämann ferner die Alarmierung der Schnelleinsatzgruppe ( SEG ) Bergung des Technischen Hilfswerks an. Bei der Durchsage »Alarm für SEG Bergung - Gasexplosion im Bebelhof« dachten viele SEG-Helfer zunächst an eine Übung im Bunker Borsigstraße. Doch diesmal war der Alarm echt. Unter der Führung des SEG-Leiters Kämpen übernahm der Rüstzug der SEG die Ausleuchtung der Einsatzstelle und führte erste Sicherungsmaßnahmen durch. Für die Abstützung der einsturzgefährdeten Außenwände wurden telefonisch weitere Bergungshelfer und die Zugführer Deistel und Freienberg nachalarmiert, so daß sich schließlich 50 Helfer im Einsatz befanden. Rüstholz wurde von einer Braunschweiger Firma bereitgestellt, und die Berufsfeuerwehr ließ eine Drehleiter an der Einsatzstelle zurück. Improvisation war gefragt, denn Stützböcke für dreistöckige Häuser hatten die Helfer bislang noch nicht errichtet. Für die lotrechten Abstützungen setzte die SEG die von der Helfervereinigung im vergangenen Jahr beschafften Deckenstützen ein. Die wichtigste Maßnahme war die Abspannung der Außenwände, da sich diese mit ca. 3 cm pro Stunde nach außen bewegten. Hierfür wurde ein Greifzugseil in Höhe des 2. Obergeschosses eingesetzt. Erst gegen 3 Uhr war die akute Einsturzgefahr des Hausflügels gebannt, und die letzten Kräfte konnten wieder in die Unterkunft einrücken. Am Nachmittag des folgenden Tages leistete das THW erneut Hilfe bei der Sicherung des Wohnungsinventars.

Berufsfeuerwehr und Wohnungsbaugesellschaft zeigten sich mit der Arbeit der THW-Helfer rundherum zufrieden. Einsatzleiter Sämann: »Auf diese Schnelleinsatzgruppe kann das Technische Hilfswerk stolz sein.«

Lage beim Eintreffen der THW-Helfer

alle Fotos: © David Taylor, Braunschweiger Zeitung

»Jürgen Kowallik«, berichtete die Braunschweiger Zeitung am Montag, den 07. März 1994, »steht vor dem Haus, in dem er bis Sonnabend, kurz vor 18 Uhr wohnte; eine Etage über jenem Raum, in dem sich die Detonation ereignete. Fortwährend blickt er hoch in seine aufgerissene Wohnung. Langsam begreift er, daß er der Todesgefahr wohl nur um wenige Minuten entkommen war. Zum Geburtstag eines Freundes wollte Kowallik an diesem Abend, den die Menschen im Stadtteil Bebelhof so schnell nicht vergessen werden. Seine Taxe hatte er für 18 Uhr bestellt.

Schon vorher hatte Jürgen Kowallik den seltsamen Geruch bemerkt, der sich in seiner Wohnung verbreitet hatte. Doch seine Versuche, einen für das Haus zuständigen Installateur telefonisch zu erreichen, schlugen fehl: Wochenende. "Ich ging zum Fenster, sah nach, ob die Taxe schon da war, stand vor der Wand, die jetzt nicht mehr existiert", erzählt Jürgen Kowallik weiter, malt sich aus, was passiert wäre, hätte vielleicht die Taxe Verspätung gehabt. Das Auto kam. "Ich öffnete wegen des Geruchs noch das Fenster und ging runter. Was Minuten später mit dem Haus passierte, erfuhr ich erst neun Stunden danach." Ein 29 Jahre alter Angestellter der Bundesbahn hatte sich in seiner Wohnung in der 1. Etage das Leben genommen, indem er die Gasleitung angezapft und das Gas durch einen Schlauch eingeatmet hatte. Etliche Stunden später entzündete sich das immer noch austretende Gas und löste die verheerende Explosion aus.

"Bitte Frieseweg 1", war Kowalliks Wunsch, als er in der Nacht gegen drei Uhr den Heimweg antrat. Aber der Taxifahrer habe ihn nur entgeistert angesehen. "Frieseweg 1 gibt es nicht mehr", sagte er, in den Nachrichten sei es gekommen, und in der Zeitung stehe es auch schon. Als Kowallik seine zerstörte Wohnung eine Etage über dem Explosionsherd erblickte, hatten etwa 50 Männer vom Technischen Hilfswerk schon ganze Arbeit geleistet. THW-Chef Wolfgang Schröder und Bereitschaftsführer Edgar Kaste: "Wir mußten die beiden Außenwände versteifen, denn es herrschte Einsturzgefahr." Während am Sonnabend und Sonntag viele Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei und THW am Unglücksort arbeiten, kommt es immer wieder zu spontanen Hilfsaktionen der Nachbarn. Kaffee und Kuchen werden gereicht, einer räumt seine Garage für den Hausrat eines Unglücksopfers frei, jemand rückt seinen Campingkocher heraus.«

»Gute Nachrichten im Unglück«, fuhr die Braunschweiger Zeitung am 08. März 1994 fort, »hatte der Geschäftsführer der Wohngesellschaft GSV für die Mieter, die durch die Explosion vorläufig ohne Wohnung sind. "Wir haben im selben Quartier drei Wohnungen aus unserem Bestand frei, die wir den betroffenen Familien kurzfristig zur Verfügung stellen", sagte Manfred Köhler. Die Wohnungsbaugesellschaft besitzt im Bereich zwischen Bahntrasse, Salzdahlumer Straße und ehemaligem Bundesbahn-Ausbesserungswerk etwa 300 Wohnungen.«

Am 16. März 1994 berichtete die Braunschweiger Zeitung dann vom Abriß der Haushälfte. »Die Spannzüge und Stützbalken, die Feuerwehr und Technisches Hilfswerk zur Sicherung eingebaut hatten, werden mit eingerissen. Sie vorher auszubauen, wäre zu gefährlich.«

Freier Blick aus dem Wohnzimmer ...

Unter der Überschrift Gute Hilfe bei Gasexplosion veröffentlichte die Braunschweiger Zeitung am 10. März 1994 den folgenden Leserbrief des SEG-Mitglieds Ingo Kettner:

»In dem Artikel über die Gasexplosion im Frieseweg 1 vom 07. März sprachen Sie von spontanen Hilfsaktionen der Nachbarn. Dieses kann ich als Helfer der Schnelleinsatzgruppe ( SEG ) des THW nur bestätigen. Die Nachbarn um den Frieseweg 1 haben allen Einsatzkräften, besonders aber den Helfern der SEG, die bis morgens um drei Uhr mit der Sicherung der einsturzgefährdeten Wände beschäftigt waren, sehr freundlich mit Kaffee, Tee, Broten und Kuchen spontane Hilfsbereitschaft gezeigt. Auch die Frage, ob man helfen könne, war oft zu hören. Ich möchte mich im Namen aller Helfer des THW bei den Anwohnern um den Frieseweg 1 recht herzlich bedanken. Nicht nur für die Hilfe in Form von Essen und Trinken, sondern auch für die ideelle Hilfe. Denn wenn gesagt wird: "Gut, daß es Euch gibt", dann ist das für uns alle eine Bestätigung dafür, daß es richtig ist, nicht nur seinen Dienst beim THW im Ausgleich für den Wehrdienst zu tun, sondern sich auch bereit zu halten zur schnellen Hilfe bei solchen Unglücken.«

Diese Zuschrift wollten Carsten Bösel, Zivildienstleistender, und Edgar Austen, Pfarrer, nicht unkommentiert im Raum stehen lassen und sahen sich zu folgendem Leserbrief veranlaßt, den die Braunschweiger Zeitung am 22. März 1994 unter dem Titel Keine Alternative abdruckte:

»Bei aller Anerkennung der Leistung der THW-Schnelleinsatzgruppe bei der Gasexplosion am Frieseweg 1 sollte man nicht vergessen, daß es sich beim THW um eine paramilitärische Einheit handelt, die bei solchen zivilen Unglücken zum Einsatz kommt, um sich die nötige Erfahrung und Routine für den militärischen Ernstfall anzueignen. Dann nämlich werden Leute benötigt, die einsturzgefährdete Wände infolge einer Bombenexplosion absichern können. Natürlich ist eine solche Helfertruppe in allen Notfällen unerläßlich, aber eine gute Alternative zum Wehrdienst ( wie im Leserbrief angedeutet ) ist ein Dienst beim THW deswegen noch lange nicht. Er bietet in erster Linie die Möglichkeit, dem Wehr- bzw. Zivildienst ohne eine eindeutige persönliche Stellungnahme ( z.B. in Form einer Verweigerung ) und damit weitgehend ohne zeitliche und finanzielle Verluste zu entgehen.«

Schaulustige am Tag nach dem Einsatz

Einsatzbericht: Jan Kämpen ( Stand: 01.04.1994 )