Braunschweiger Hilfe in Sachsen-Anhalt

Ortsverband eine Woche lang im Hochwasser-Einsatz

Am Sonntag, den 17. April 1994, wurde für mehrere Bergungszüge des Ortsverbands Braunschweig Rufbereitschaft angeordnet. Die Helfer sollten sich auf einen eventuellen Einsatz in Halle a.d. Saale vorbereiten. Aufmerksam wurden die Nachrichten in Radio und Fernsehen verfolgt. Am Montag entspannte sich die Lage in Halle jedoch, so daß die Rufbereitschaft gegen Abend aufgehoben werden konnte. Die Helfer konnten sich wieder "frei" bewegen.

Zwei Tage später geschah dann das Unerwartete: Alarm für den 1. Bergungszug! Der Alarm erreichte Zugführer Freienberg gegen 11.30 Uhr. Um 11.45 Uhr waren bereits die ersten Helfer in der THW-Unterkunft angelangt. Gemeinsam mit den später eintreffenden Helfern wurde die Einsatzbereitschaft zweier Mannschafts- ( MKW ) und zweier Gerätekraftwagen ( GKW ) hergestellt. Zusätzliche Ausstattung mußte verlastet werden. Gegen 13.15 Uhr rückten die ersten beiden Fahrzeuge Richtung Staßfurt aus, die anderen Fahrzeuge folgten eine dreiviertel Stunde später.

Am Nachmittag wurde die Staßfurter THW-Unterkunft erreicht, wo die näheren Einsatzbefehle entgegengenommen wurden. Zunächst sollte der 1. Bergungszug in Löderburg, einem Vorort Staßfurts, Sandsäcke füllen und einen Damm verstärken, was bis in die frühen Morgenstunden andauerte.

Erst um 05.00 Uhr war Nachtruhe, am Mittwoch wurde gegen 08.00 Uhr wurde schon wieder geweckt. Nun galt es, Einheiten der Bundeswehr im Kreiskrankenhaus Staßfurt und der daran anschließenden Poliklinik abzulösen. So wurde damit begonnen, Kellerräume der Pathologie und der Poliklinik auszupumpen; ständig drang jedoch neues Schmutzwasser aus den Abflüssen nach. Der Pegel durfte 20-30 cm nicht überschreiten, da das Wasser sonst die Verteiler der elektrischen Anlage erreicht hätte. Zwei Schmutzwasserpumpen vermochten die Wassermassen in der Pathologie kaum zu bewältigen, und so wurden die lärmenden Pumpen später durch leistungsstärkere – und vor allem leisere – Elektrotauchpumpen ersetzt, die der Ortsverband Wolfsburg inzwischen angeliefert hatte.

Der Donnerstag verlief – bei gleicher Aufgabenstellung – ruhig und entspannt, vor allem, weil nun feststand, daß der 4. Bergungszug abends die Ablösung übernehmen sollte und am Freitag mit der Rückkehr nach Braunschweig zu rechnen war.

Doch ganz ohne Zwischenfälle verlief auch dieser Tag nicht. Zwei Kameraden des 1. Bergungszuges sollten gegen abend Verpflegung von einem Imbiß am Staßfurter Bahnhof holen. Dort wurden sie Zeugen eines Überfalls vermutlich rechtsradikaler Jugendlicher auf zwei Passanten. Die Täter bedrohten ihre Opfer mit Stich- und Schußwaffen und verletzten einen der beiden erheblich. Anschließend traten sie die Flucht an. Die beiden THW-Helfer konnten das polizeiliche Kennzeichen des Fluchtfahrzeugs ermitteln und über Funktelefon die Polizei verständigen. Anschließend übernahmen sie die Erstversorgung des Schwerverletzten.

Am Freitag morgen wurden Gepäck und Ausrüstung verstaut, und der 1. Bergungszug trat die Heimfahrt an. Die THW-Unterkunft in Braunschweig wurde gegen 13.00 Uhr erreicht. Nachdem die Einsatzbereitschaft der Fahrzeuge weitestgehend wiederhergestellt worden war, waren die Helfer alle froh, wieder ins eigene Bett fallen zu können.

Die Helfer des 4. Bergungszuges blieben noch bis Samstag abend in Staßfurt. Am Wochenende hatte sich die Hochwasserlage so weit entspannt, daß die niedersächsischen THW-Helfer wieder heimkehren konnten. Insgesamt hatten 25 niedersächsische Ortsverbände Unterstützung in Sachsen-Anhalt geleistet.

Einsatzbericht: Michael Brandes ( Stand: 25.06.1994 )

 

Anmerkungen zum Einsatzablauf

Unsere Helfer haben in Sachsen-Anhalt ihre Aufgaben teilweise bis zur völligen Erschöpfung erfüllt. Weniger anerkennenswert sind die Umstände, unter denen die Helfer ihre Einsatztätigkeit aufnehmen mußten. Anlaß zur Frage, ob unser Ortsverband auf längere Einsätze außerhalb Braunschweigs ausreichend vorbereitet ist.

Beispielsweise wurde – trotz der vorangegangenen Rufbereitschaft – keinem Helfer des 1. Bergungszuges bei seiner Alarmierung mitgeteilt, was ihm genau bevorstand. Niemand brachte Wäsche zum Wechseln oder Waschzeug mit in die Unterkunft. Die Folge: Unmut bei den Helfern und für die Führungskräfte die zusätzliche Belastung, sich auch noch um Zahnbürsten etc. kümmern zu müssen!

Doch selbst wenn die Helfer Gepäck hätten mitführen wollen, wäre auf den randvoll beladenen Einsatzfahrzeugen dafür kein Platz gewesen.

Erschwerend kam hinzu, daß während der mehrtägigen Einsatztätigkeit der Helfer in Sachsen-Anhalt die THW-Unterkunft nicht rund um die Uhr besetzt gewesen ist. Auch wenn die Einsatzkräfte vor Ort geführt werden, darf die Verbindung in die Heimat nicht abreißen.

Über Erfolg oder Scheitern eines Einsatzes entscheidet auch die Qualität der rückwärtigen Logistik. Im Hintergrund für Nachschub zu sorgen, mag nicht populär sein – es gehört aber zur Fürsorgepflicht jeder vorgesetzten Führungsebene.

Kommentar: Jan Kämpen ( Stand: 25.06.1994 )

 

Nachsatz zum Kommentar

Nur wenige Ortsverbände haben den Mut, öffentlich konstruktive Kritik an der Bundesanstalt THW zu üben oder gar eigene Fehler einzugestehen. Der Ortsverband Braunschweig gehört zu diesen "unbequemen" Mahnern – und hat damit viele Mißstände zum Besseren wenden können. So auch in diesem Fall.

Im Jahre 1995 wurde ein infolge des Helferabbaus freigewordener Raum der THW-Unterkunft als Einsatzleitstelle hergerichtet. Von hier aus werden die Einsätze des Ortsverbands begleitet, wo auch immer sie in Deutschland stattfinden. Während des Hochwassereinsatzes an der Oder im Sommer 1997 oder des mehrtägigen Einsatzes in Eschede im Sommer 1998 war die Leitstelle im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr ansprechbar. Die Vorteile: 1) Die Einsatzkräfte haben einen kompetenten Ansprechpartner, der notfalls helfen kann, wenn die Logistik vor Ort nicht funktioniert. 2) Die Angehörigen haben eine Stelle, über die sie offiziell mit den Helfern in Kontakt treten können. 3) Ortsverband und Geschäftsstelle können sich im Haus stets über die Lage vor Ort informieren.

Der 1. Technische Zug verfügt heute über freie Staufächer auf seinen Einsatzfahrzeugen, die trotz des Wunsches, möglichst viele Geräte mitzuführen, für persönliche Ausstattung der Helfer freigehalten werden; der 2. Technische Zug hat dafür zeitweise sogar einen Anhänger vorgesehen.

Bei der Alarmierung der Helfer wird heute danach unterschieden, ob es sich um örtliche oder überregionale Einsätze handelt. Zu überregionalen Einsätzen werden auch die SEG-Helfer nicht mehr über Funkmeldeempfänger gerufen, weil dies grundsätzlich höchste Eile signalisiert. Stattdessen wird den Helfern heute über ihr Handy neben dem Einsatzstichwort ein Ausrückezeitpunkt genannt, der ihnen ausreichend Zeit läßt, auch noch ein paar persönliche Dinge einzupacken. Der andere Ansatz, ein solches Paket ständig in der THW-Unterkunft vorzuhalten, wurde aus vielerlei Gründen nicht verfolgt; unter anderem wäre er bereits am hierfür erforderlichen Platz in den Spinden gescheitert.

Kritik, Wünsche oder Anregungen an: webmaster@thw-bs.de ( Stand: 30.07.2001 )