Katastrophenschutz: Defizite bloßgelegt

Im Rahmen seiner umfangreichen Hochwasser-Berichterstattung bricht nun auch das Magazin Der Spiegel eine Lanze für den deutschen Katastrophenschutz:

Außer Kontrolle

Hilfsbereitschaft, Solidarität, Zusammenhalt? Der Krisenstab der Bundesregierung machte andere Erfahrungen. Statt fleißiger Helfer trafen die Staatssekretäre aus Berlin im sachsen-anhaltischen Wittenberg erregte Freiwillige des Technischen Hilfswerks ( THW ). Prügel hätten einheimische Feuerwehrleute ihnen angedroht, klagten die Ehrenamtlichen aus Rheinland-Pfalz, als sie mit ihrem Gerät bei der Deichsicherung eingreifen wollten.

Der Unfrieden in der Lutherstadt war kein Einzelfall. Obwohl 11.000 Helfer vom THW, 25.000 Bundeswehrsoldaten sowie fast ebenso viele Feuerwehrleute an den Deichen hochmotiviert Sandsäcke schleppten, sorgten Kompetenzgerangel, unzureichende Ausrüstung und überforderte Beamte dafür, daß der Einsatz an manchen Orten außer Kontrolle geriet.

Die Jahrhundertflut legte die Defizite des deutschen Katastrophenschutzes bloß. Nach dem Ende des Kalten Krieges kürzten Bund, Länder und Landkreise ihre Zuschüsse an die Helfer. Allein die Ausgaben für das THW wurden unter Kohl-Regierung von gut 125 Millionen auf etwa 95 Millionen Euro gestrichen.

Nach den Anschlägen vom 11. September wurden die Mittel zwar um 25 Millionen Euro aufgestockt, doch die Hälfte des Geldes wird für den Schutz gegen Bio- und Chemie-Anschläge ausgegeben. Der Kampf gegen Naturkatastrophen hatte nicht den ersten Rang.

Das rächt sich nun. so hatten etwas die aus ganz Deutschland angerückten THW-Einheiten an der Elbe mit erheblichen Ausrüstungsproblemen zu kämpfen: Viele ihrer veralteten Fahrzeugen verfügen nicht über eigene Funkgeräte. Vergebens versuchten die Einsatzzentralen oftmals, ihre Leute an dien Deichen zu erriechen. Bei den örtlichen Feuerwehren fielen reihenweise Pumpen aus – die Geräte waren oft mehr als 30 Jahre alt.

Schon im Oktober 2001 hatte die "Schutzkommission" des Bundesinnenministeriums, eine beratende Wissenschaftler-Runde, in einem "Gefahrenbericht" die Defizite im Katastrophenschutz aufgelistet und »alle Verantwortlichen zum unverzüglichen Handeln« aufgefordert. Vor wenigen Wochen erst mahnten die Berliner Ministerialbeamten »ein Umdenken in der Organisation und Koordination« im Katastrophenfall an.

»Wetterämter, Wasserbehörden und Katastrophenschützer arbeiten nicht eng genug zusammen«, kritisiert der Hochwasserexperte Uwe Grünewald von der Technischen Universität Cottbus. »Manch einer weiß ja nicht einmal, daß er in einer Risikozone lebt.«

Dem Bundesinnenministerium ist das Mißmanagement längs der Elbe nicht verborgen geblieben. »Der Informationsfluß hätte besser laufen können«, räumt Otto Schily ein. »Bisher haben die Länder eifersüchtig auf ihre Zuständigkeit geachtet.«

Jetzt sollen die Vorschläge der Expertenrunde, die bereits in der Schublade liegen, eilig umgesetzt werden. So will das Ministerium

  • zusammen mit den Ländern eine Melde- und Alarmzentrale für Katastrophen einrichten: Die Koordinationsstelle soll Basisinformationen wie Kommandostrukturen, Materialdepots oder Helferpotentiale bereithalten;

  • das Warnsystem zügig modernisieren: Wissenschaftler arbeiten an Systemen, die über Funkuhren, Heim-Computer oder Handys Alarm auslösen;

  • mehr Geld für den Katastrophenschutz in Bund und Ländern sowie für die Forschung bereitstellen;

  • eine Risikoanalyse erstellen, die potentielle Großgefahren und mögliche Folgen aufzählt.

Noch im vergangenen Jahr hatten sich die Länder erbittert gegen alle Versuche gewehrt, die Koordination großer Katastrophen in Berlin anzusiedeln. Als die Beamten damals das zentrale Notfall-Informationssystem "deNIS" vorantreiben wollten mußten sie sich erst einmal der Frage erwehren: »Was macht Ihr da eigentlich? Das ist doch nicht nötig!«

Horand Knaup, Roland Nelles in: Der Spiegel Nr. 35 vom 26.08.2002

 

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